Verfolgt man die „Fitness-Szene“ in den Medien, so kann man feststellen, dass heute dies, morgen das aktuell ist und es jeden Tag neue und noch bessere Trainingsmethoden gibt als zuvor. In diese Reihe der „Trends“ fügt sich nun auch immer mehr eine neue „Trainingsform“, die – wie so häufig – alles andere als neu ist: Training mit dem eigenen Körpergewicht. Körpergewichtstraining ist en vogue. Ist ja eigentlich auch logisch, denn die bisherigen „Fitnesstrends“ stützten sich oftmals auf Gerätschaften und wundersames Equipment – beispielsweise Schlingentrainer, Kettlebells, diverse Vibrationsplatten etc.. Jedes Mal werden super Erfolge versprochen, jedes Mal gibt es nichts Besseres und jedes Mal wird es als Innovation und Revolution im Fitnessbereich angepriesen. Da liegt es nur nahe, dass man nach dieser Flut von neuen Trainingsgeräten nun umschwenkt und eine „ganz neue“ Marschrichtung vorgibt (um einen neuen Trend zu setzen??): man brauche zum Training lediglich seinen eigenen Körper. Was ist dran am Training mit dem eigenen Körpergewicht?
Wie bei anderen Trainingsformen auch, stellt man sich natürlich auch hier die Frage: „Stimmt das wirklich?“ Nun, pauschal kann man dies weder verneinen, noch bejahen. Warum? Weil man sich erst einmal fragen muss, was denn das Ziel des Trainings ist. Möchte man einfach nur was tun, damit man Sport gemacht hat, für die „allgemeine Fitness“ (wie auch immer man diese definieren mag)? Möchte man gezielt Muskulatur aufbauen? Möchte man die Ausdauerleistungsfähigkeit verbessern? Möchte man abnehmen? Möchte man gezielt Schwachstellen kräftigen? Möchte man einfach nur etwas tun, das Spaß macht?
Auch hier müsste im Vorfeld präzisiert werden, was man denn eigentlich erreichen möchte. Dann kommt es auch noch darauf an, wie die persönliche Ausgangssituation ist (Fitnesslevel, Trainingserfahrung, gibt es Verletzungen / gesundheitliche Beschwerden etc.). Es ist also heutzutage relativ schwierig „einfach so“ ein Training mit dem eigenen Körpergewicht durchzuführen (auch wenn man überall Bilder und Anleitungen dazu findet). Nicht zuletzt deshalb, da dieses Körpergewicht in den letzten Jahren im Durchschnitt recht weit nach oben gegangen ist und die körperliche Betätigung – und somit auch die körperliche Belastbarkeit – gleichzeitig nach unten. Für ein Training mit dem eigenen Körper bedarf es nicht nur Wissen über das was man macht, sondern auch ein gewisses Körpergefühl und Köperkontrolle. Alle Kriterien sind in der Realität oft nur selten erfüllt, insbesondere bei blutigen Sport-Anfängern.
Aussagen über Körpergewichtstraining und unser Urteil
Im Folgenden möchten wir nun Stellung zu einigen Punkten nehmen, die mit dem Training mit dem eigenen Körpergewicht oftmals in Verbindung gebracht werden, um Ihnen einen kleinen Überblick darüber zu geben, wie man dieses Training einzuschätzen hat. Diese Auflistung hat natürlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
„Man kann alle Muskelpartien trainieren, ohne Zusatzgeräte.“
CAPECS-Urteil: teilweise richtig
Begründung
Will man beispielsweise bei Hüftgelenks-Problemen gezielt die Hüftgelenks-Zentrierer auftrainieren und kräftigen, so ist dies ohne zusätzliche Gerätschaften wie z.B. einen Kabelzug nicht wirklich machbar. Ansprechen kann man diesen Bereich ohne Zusatzequipment schon, nur nicht angemessen dosiert und differenziert, um ungünstige Widerstandskurven oder Spitzenbelastungen zu vermeiden. Zudem können Schwachstellen innerhalb eines Bewegungsablaufes nur selten bis gar nicht gezielt auftrainiert werden.
„Man muss im Alltag mit dem Körper umgehen können, also ist das Körpergewicht ausreichend für ein effektives Training.“
CAPECS-Urteil: falsch
Begründung
Wir bewegen uns im Alltag nicht nur mit unserem Körper allein, sondern tragen, heben, schieben, ziehen Gegenstände und bekommen somit auch zusätzliche Belastungen von außen, mit denen unser Körper umgehen muss. Daher: wenn man argumentiert, für den Alltag zu trainieren, so muss man auch mit externer Zusatzlast trainieren (= Hanteltraining).
„Der Schwierigkeitsgrad ist bei jeder Übung mit dem eigenen Körpergewicht individuell variierbar und somit für jeden machbar.“
CAPECS-Urteil: teilweise richtig
Begründung
Durch Änderung der Körperposition bei einzelnen Übungen kann die Schwierigkeit relativ gut angepasst werden, sodass jeder die Übungen durchführen kann. Hier ist aber auch der Knackpunkt: es geht darum eine ÜBUNG besser ausführen und diese meistern zu können. Will man nun eine Bewegung (Übung) hinbekommen oder die Muskulatur gezielt treffen? Durch Lageveränderungen des Körpers entstehen Widerstandsverläufe, die nicht immer optimal sind, um eine bestimmte Muskelpartie gezielt und in voller Bewegungsamplitude zu trainieren – so, wie es mit externen Gewichten / Kabelzügen etc. der Fall wäre.
„Training mit dem eigenen Körpergewicht ist gelenkschonender. Training mit Gewichten macht die Gelenke kaputt.“
CAPECS-Urteil: falsch
Begründung
Training mit Gewichten ist für die Gelenke zu viel Belastung? Und was ist, wenn die Gewichte leichter gewählt werden, als das eigene Körpergewicht? Abgesehen von der besseren Dosierbarkeit der Belastung auf die Gelenke (z.B. Kniegelenk bei einer Beinpress-Maschine), der gezielten und variierbaren Lasteinleitung, variierbaren Widerstandsverläufen an Kabelzügen etc., sind externe Gewichte als Zusatzbelastung zum eigenen Körpergewicht notwendig, will man gezielt Strukturveränderungen (Muskelaufbau, Figurverbesserung etc.) erreichen. Für Kniebeugen beispielsweise ist das eigene Köpergewicht recht schnell nicht mehr ausreichend, um eine bestimmte Reizschwelle zu übersteigen (man kann zwar einbeinige Kniebeugen machen, jedoch können hier erstens die Koordination und Balance limitierende Faktoren und zweitens die Belastung zu hoch sein). Gelenke leben von einem angepassten Wechsel von gezielter Belastung und Entlastung.
„Training mit dem eigenen Körpergewicht spart Zeit und Aufwand und ist überall machbar.“
CAPECS-Urteil: richtig
Begründung
Liegestütze, Bauchübungen, gewisse Rückenübungen, Klimmzüge, Beinübungen etc. sind natürlich überall ohne großen Aufwand und zu jeder Zeit durchführbar. Man muss nur wissen wie.
„Training mit dem eigenen Körpergewicht macht mehr Spaß und ist abwechslungsreicher.“
CAPECS-Urteil: Naja!
Begründung
„Mehr Spaß“: ist subjektiv und somit jedem selbst überlassen „abwechslungsreicher“: bei einem Training mit zusätzlichem Equipment sind mehr Variationen möglich (daher heißt es ja „zusätzlich“ à „zusätzlich“ = mehr à „mehr“ = noch „mehr“ Abwechslung)
„Training mit dem eigenen Körpergewicht ist das effektivste Training überhaupt, um fit, leistungsfähig und belastbar zu sein.“
CAPECS-Urteil: falsch
Begründung
Wenn man mit 30, 60, 100 oder mehr Kilogramm auf den Schultern trainieren und in die Hocke gehen und wieder aufstehen kann, ist man fitter, leistungsfähiger und belastbarer, als würde man ohne trainieren. Ach ja, und Ihr Körpergewicht ist da ja auch noch dabei… 🙂
Fazit
Das Training mit dem eigenen Körpergewicht ist so alt wie der Mensch selbst. Mit der Ausnahme, dass der Mensch heutzutage ein TRAINING veranstalten muss, weil der Alltag – so wie früher – hierfür nicht mehr ausreichende Belastungen stellt. In diesem Zusammenhang ist ein Training mit dem eigenen Körpergewicht schonmal sehr gut, da – vorausgesetzt man weiß was man tut, wie man die Übungen richtig ausführt und falsche Belastungen vermeidet – Grundübungen (oder besser Grundbewegungen) wie Drücken, Ziehen, in-die-Hocke-gehen, Drehen / Rotieren und Neigen etc. gezielt durchgeführt werden. Der Körper erfährt beim Körpergewichtstraining effektivere Belastungen, als mit vielem neuartigem und hochgelobtem Equipment (Bauchroller, Vibrationsplatten, Wackelstäben, etc.) oder mit anderen Trainingsformen (Aerobic, „Fitness-Tänzen“ etc.).
Dennoch ist es unvorteilhaft zu glauben, Zusatzgeräte und Hanteln wären überflüssig. Belastungen müssen gezielt gewählt werden, will man bestimmte Ziele erreichen. Vor allem dann, wenn bereits Verletzungen oder körperliche Beschwerden vorliegen. Trainingsgeräte, Hanteln und Kabelzüge beispielsweise sind insbesondere in solchen Fällen unverzichtbare Werkzeuge, wenn es darum geht effektiv zu trainieren.
Ein reines Körpergewichtstraining wäre bei Verletzungen oder körperlichen Beschwerden entweder zu undifferenziert, zerstörerisch oder zu leicht und wäre somit alles andere als effektiv. Leider haben heutzutage viel zu viele Menschen körperliche Beschwerden aller Art – v.a. Rücken- und Gelenkprobleme. Es gilt hier also gezielt und wohldosiert heranzugehen, um später höheren Belastungen standhalten zu können.
Auf der anderen Seite möchte man die Figur verbessern und noch fitter werden. Allein schon diese hohe Diskrepanz von „vorsichtig herangehen“ zu „Vollgas geben“ zeigt, dass auch im Training differenziert gearbeitet werden muss. Für die einen ist ein Körpergewichtstraining überhaupt nicht möglich, weil einerseits zu viele Schwachstellen in bestimmten Bereichen bestehen und andererseits das Körpergefühl insgesamt fehlt. Für andere ist ein Körpergewichtstraining viel zu „lasch“ bzw. kann nicht mehr die Reize bieten, die für bestimmte Ziele notwendig sind. Auch wenn der Schwierigkeitsgrad im Grunde an jede Leistungsstufe anpassbar ist, gibt es ohne Zusatzgeräte / Gewichte definitiv Grenzen (Durchführbarkeit / Effektivität), sowohl nach oben, als auch nach unten. Erst wenn man weiß was man genau erreichen möchte und ob bzw. welche Einschränkungen vorhanden sind kann man sagen, ob das Training mit dem eigenen Körpergewicht zu empfehlen ist oder nicht.
Lesen Sie hier unseren Artikel zum “erweiterten” Körpergewichtstraining: Calisthenics – Eine Bewegung auf Vormarsch in Deutschland
Welche Erfahrungen haben Sie mit Training mit dem eigenen Körpergewicht gemacht? Teilen Sie uns diese gerne unten oder via Facebook/ google+ mit!